Modehaus Gebrüder Horn
Herrmann Gerson, Berlin – Kersten & Tuteur, Berlin – Simon Arendt, Hamburg
Im Sommer 2020 erteilte die Stiftung Rolf Horn in Abstimmung mit der Witwe des Stifters der Unterzeichnerin den Forschungsauftrag zu überprüfen, ob und inwieweit Rolf Horn an der „Arisierung“ der Firma Herrmann Gerson beteiligt gewesen war. Ab Herbst 2023 wurde der Auftrag auf mögliche Aktivitäten Rolf Horns bei der „Arisierung“ der Modehäuser Kersten & Tuteur und Simon Arendt erweitert.
Der Stiftung liegt der stark quellengestützte Forschungsbericht der Unterzeichnerin vor.
Rolf Horn wurde 1912 in Kiel geboren. Sein Vater Hans Horn hatte die Tochter des renommierten Kieler Warenhausbesitzers Wilhelm Jacobsen geheiratet und trat in dessen Firma ein, in der er im Vorstand als Direktor fungierte und eine Beteiligung in Höhe eines Viertels des Kapitals hielt.
Rolf Horn genoss eine kaufmännische Ausbildung. 1936/37 begann er mit finanzieller Unterstützung seines Vaters durch die Übernahme der genannten drei Firmen seine Karriere in der Modebranche.
In der Literatur wird unterstellt, dass Rolf Horn unter Ausnutzung eines „angeblichen Konkurses“ der Hermann Gerson OHG dieses Modehaus „arisiert“ hätte.
Die im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde befindlichen Unterlagen der Berliner Handelsgesellschaft (Hausbank von Gerson) belegen jedoch detailliert, dass
- die Firma Hermann Gerson und die Inhaber mit ihrem Privatvermögen seit 1929 hoch verschuldet waren,
- im Juni 1932 ein Vergleichsverfahren im Amtsgericht Berlin-Mitte durchgeführt wurde, in dessen Folge ein Überwachungsausschuss zur Abwicklung des Vergleichs installiert wurde, dessen Vorsitzender der Wirtschaftsprüfer Georg Wunderlich war.
Auch ist belegt, dass die Gerson-Inhaber mit notarieller Urkunde vom 09.12.1932 ihre privaten Einrichtungsgegenstände, darunter ca. 150 Kunstwerke, in die Vergleichsmasse überführten.
Es handelte sich also nicht um einen „angeblichen“, sondern um einen tatsächlichen Konkurs und die Kunstsammlung der Gerson-Inhaber ging einvernehmlich an die Gläubiger.
Ein Bezug zur späteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten ist nicht gegeben.
Die mit der Liquidationsabwicklung befasste Herrmann Gerson GmbH stand seit 1931 im Eigentum der Chemnitzer Textil-Syndikat GmbH unter Leitung des jüdischen Unternehmers Louis Goldschmidt. Dieser floh nach brutaler Mißhandlung im Februar 1933 in die Schweiz und ging wenig später nach Schweden. Dort suchte ihn Georg Wunderlich auf und trotzte ihm die Inhaberschaft an der Gerson GmbH für ein 50stel ihres Wertes ab. Wunderlich wurde Alleininhaber der GmbH. Wunderlich war der „Ariseur“ von Gerson. Rolf und Herbert Horn tauchen in diesen Vorgängen nicht auf.
Die Brüder Horn wurden vielmehr erst durch Erwerb der Anteile von Wunderlich mit notarieller Urkunde vom 05.05.1936 Alleininhaber der Gerson GmbH. Ihr Vater unterstützte diese Transaktion finanziell. Zugunsten des inzwischen ausgewanderten ehemaligen jüdischen Gerson-Inhabers Georg Freudenberg zahlte Rolf Horn die Reichsfluchtsteuer in Höhe von 15.000 RM.
Die Brüder Horn firmierten danach als „Herrmann Gerson Inhaber Gebrüder Horn“. Mit der Gerson GmbH (später OHG) besaßen Rolf und Herbert Horn nun einen gewichtigen Grundstock, der wirtschaftliche Expansionen ermöglichte.
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Mit Wirkung vom 1.1.1938 übernahm Rolf Horn ein weiteres angesehenes Modehaus - die 1905 gegründete Firma Kersten & Tuteur in Berlin-Mitte, Leipziger Straße 36.
Seit Februar 1935 war der jüdische Unternehmer Jacob Tuteur Alleininhaber des Modehauses.
Angesichts antisemitischer Hetzkampagnen gegen sein Unternehmen sah Tuteur keine berufliche Perspektive. Deshalb suchte er nach einem Käufer für seine Firma und kam mit Rolf Horn in Kontakt. Mit Kaufvertrag vom 1.12.1937 übertrug er sein unter der Firma Kersten & Tuteur betriebenes Handelsunternehmen an Rolf Horn.
Das Unternehmen firmierte nach Übernahme als „Gebr. Horn vormals Kersten & Tuteur“.
Jacob Tuteur konnte dem antisemitischen Druck und dem Zusammenbruch seines Lebenswerkes nicht standhalten. Er nahm sich am 27.2.1939 das Leben.
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Rolf Horn übernahm mit Wirkung vom 1.3.1938 ein drittes jüdisches Modehaus, die Firma Simon Arendt in Hamburg. Unmittelbar nach dem Nazi-Boykott vom 01.04.1933 stand auch dieses Unternehmen unter extremem Druck.
Mit Kaufvertrag vom 11.11.1937 übertrug Simon Arendt seine Firma auf Rolf Horn. Es ist bislang unbekannt, warum Simon Arendt auf Rolf Horn aufmerksam wurde. Rolf Horn erhielt durch diesen Erwerb eine weitere werthaltige Firma nebst Kundenstamm und Lieferantenbeziehungen.
Am 10.10.1940 starb Simon Arendt in Hamburg. Seine Witwe blieb zurück und wurde mit 73 Jahren in das KZ Theresienstadt deportiert. 1945 durfte sie in die Schweiz ausreisen und verstarb dort nach kurzer Zeit.
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Im Ergebnis ist festzuhalten:
Rolf Horn war an der „Arisierung“ des Modehauses Hermann Gerson nicht beteiligt.
Die „Arisierung“ des Modehauses Kersten & Tuteur wurde von Rolf Horn durchgeführt.
Auch das Modehaus Simon Arendt wurde von Rolf Horn „arisiert“.
Aus Sicht der Veräußerer handelte es sich in allen drei untersuchten Fällen um einen erzwungenen Transfer ihrer Unternehmen, woraus den Erwerbern nennenswerte Arisierungsgewinne erwuchsen.
Dr. Monika Tatzkow
Februar 2024